top of page

Mein Date mit dem Bürgermeister

Autorenbild: Valerie Tabea SchultValerie Tabea Schult

Keine Herausforderung unversucht lassen


Ich stehe auf Männer. 


Und ich stehe auf Macht.


Was liegt da näher, dass also mein aktuelles Objekt der Begierde der Oberbürgermeister von Freiburg ist. 


Einer meiner Neujahrsvorsätze 2025 lautete also, ein Date mit ihm zu haben.  Er ist immerhin nur acht Jahre älter als ich, jung, fit und schlagfertig und hat braune Rehaugen. Ich finde ihn wirklich attraktiv. Und da ich offizieller Flirtcoach von Freiburg bin, muss das doch jetzt funktionieren. 


Ich rufe also sein Büro an. Das Telefon klingelt im Rathaus. Eine freundliche Sekretärin hebt ab. Ich oute mich als Groupie und frage, ob sie seine Termine mit mir teilen könnte, ich würde ihn gerne mal persönlich kennenlernen. Sie wiegelt freundlich ab, sagt, dass sie seinen Kalender vor sich habe, den dürfe sie nicht mit mir teilen. Ich solle ihm auf Instagram folgen, da spreche er zum Volk. Woche für Woche sehe ich nun zu, wie er in Stories seine Sockenfarbe teilt. Leuchttürme sind darauf zu sehen, Kängurus und Karomuster. Seine Telefonnummer nicht. 


Die Nähe zu einer Bürgerin


Durch Zufall lese ich in der Zeitung über die Einladung der traditionellen Neujahrsempfänge der Bürgervereine, sich Bürgermeister einfinden, um Grußworte zu sprechen. Also radle ich jetzt abends nach der Arbeit im Januar noch mit dem Fahrrad in diese entfernten Vororte wie Zähringen oder Mooswald. Er ist nicht da. Erst an einem Donnerstag in Kappel ist es dann so weit. In einer großen Turnhalle unter Neonlicht sitzen die Kappeler Bürger artig in Stuhlreihen und lauschen dem Ortsvorsteher, der die Höhe der Anzahl der Geburten und geschlossenen Ehen für die Gemeinde mit 2000 Einwohner:innen verliest. Dann darf der Bürgermeister endlich sprechen.  Das Blasorchester hat ihm mit einem Tusch herzlich willkommen geheißen, mit federnden Schritten, die Socken in Regenbogenfarben, steht er hinter dem Pult und schmettert die Sätze wie – „Wir brauchen Lösungen, keine Nörgler” und „Viele wissen gar nicht wie asozial hoch die Mieten in Freiburg sind“. Dankbarer Applaus des Publikums. Als es endlich an Traubensekt und Hefezopf geht, pirsche ich mich mit zwei Glas Sekt hinter ihn an. Doch: Ich merke, es ist gar nicht so einfach, mit ihm bei diesem Stehempfang reden. Denn: Jeder möchte mit ihm reden. Sobald er eine Pause einlegt und länger als ein Bruchteil einer Sekunde, seine braunen Augen durch den Saal schweifen lässt, hüpft schon wieder jemand heran und beginnt eine Frage zu stellen. Wann wird der Feuerlöscher neu angemalt? Wann wird der Tannenbaum am Ortseingang gefällt? Wann kommt endlich das lang versprochene Meerschweinchengehege? Er dreht Pirouetten im Saal, redet mit fast jeder Ecke. 


Aufgepasst: Einhorn im Saal


Ich stehe also mit diesen zwei Sektgläsern fast zehn Minuten hinter ihm, manchmal berühre ich sogar sein Jackett und bewege mich mit ihm durch den Raum. Ich muss aussehen, wie eine trockene Alkoholikerin, den Kampf ihres Lebens führt – trinken oder nicht trinken? Während ich krampfhaft am Überlegen bin, mit welchem Anmachspruch der passendste ist. Irgendwann kommt glücklicherweise ein Kind vorbei. Es hat blonde Haare und trägt ein lila Einhorn mit Glitzer mit sich. Ich beginne, mit dem Kind zur Ablenkung zu spielen und  werfen das Kuscheltier hin und her. Es fliegt über den Kopf von dem Bürgermeister und endlich, endlich habe ich seine Aufmerksamkeit. Er bricht sein gerade geführtes Gespräch und fängt es.  Einträchtig werfen zu wir zu dritt das Plüschtier über die Menge der sekttrinkenden Kappeler Bürger. Die drehen sich belustigt um. Ich überlege mir im Rennen über den Turnhallenboden einen smarten Anmachspruch.  „Ich finde dich toll, Martin“ bringe ich endlich hervor. „Vielen Dank“, antwortet er trocken. „Kann ich für dich arbeiten?“, frage ich ihn. Er ist überfordert. „In welcher Position denn?“ - Als Vize-Bürgermeisterin!“ (Es muss schon Augenhöhe sein.) Er lächelt verunsichert und streckt sich, um das Einhorn im Flug zu ergreifen, was um ein Haar eine Sektflasche auf einem Beistelltisch umgeworfen hätte. Dann wirft er es zu mir zurück, dreht sich um und redet mit der Familie des Blaskapellmusikmeisters. Ich bin schon wieder vergessen. In der Hand halte ich das Einhorn, wie eine Trophäe, die übrig geblieben ist, von meinem kurzen Ausflug zum Machtzentrum von Freiburg. Mit dem muss ich jetzt kuscheln. Ich starre verloren auf den Turnhallenboden. 


Eine Frau in Uniform der freiwilligen Feuerwehr nährt sich, lächelt und fragt mich interessiert, ob ich seine Ehefrau sei, da ich ihn Martin genannt habe und dieses anonyme Kind mit blondem Haar sei doch sicherlich mein Sohn, oder? 


Ich schaue sie entgeistert an. 

Dann richte ich mich auf.

 „Ja“, antworte ich energisch und



verabschiede mich würdevoll. 


Zumindest für Kappeler Bevölkerung war ich einen Abend lang die Frau des Oberbürgermeisters. 

Valerie Tabea Schult auf der Pirsch
Valerie Tabea Schult auf der Pirsch

 

Comments


NEWSLETTER

Ich möchte über neue Veranstaltungen informiert werden

Danke für deinen Mut, Drache!

Unsere kurzfristigen Ankündigungen für Termine findest du auch in der "Drachenherz" Telegramgruppe

  • Spaceholders NEU(4)

Folge den Terminankündigungen von Drachenherz auch auf

  • Instagram
  • Facebook
bottom of page